Herrn
Dr. med. Norbert Metke
Vorsitzender der KV Baden-Württemberg
Albstadtweg 11
70567 Stuttgart
Nachrichtlich: KV Baden-Württemberg, BD Freiburg, Sundgauallee 27, 79114 Freiburg
Offener Brief
Sehr geehrter Herr Dr. Metke,
ich richte mich heute an Sie aus zweierlei Gründen:
zunächst möchte ich mich an die bevorzugte Auslieferung der Schutzkleidung an die besonders belasteten Arztgruppen (Allgemeinmediziner, Internisten, Pädiater, HNO-Ärzte) bedanken. Hier findet sicherlich der größte Teil möglicher Infektionsübertragungen statt.
Nicht notwendige, verschiebbare Patient-Arzt-Konsultationen sollten daher vermieden werden, um einerseits die vorhandenen Ressourcen der Schutzkleidung zu konzentrieren und Arztpraxen und andere medizinische Institutionen nicht zu „Coronavirusmultiplikatoren“ zu machen. Es ist natürlich selbstredend, dass zum Schutz des nicht-ärztlichen wie auch ärztlichen Personals, und damit sekundär zum Schutz aller Menschen, die diese Institutionen aufsuchen, eine medizinische Betreuung ausschließlich mit Schutzkleidung, die weitestgehend sicher vor einer Virusübertragung schützen, stattfinden darf und kann. Insuffiziente Schutzmaßnahmen wirken den heute getroffenen Maßnahmen, z.B. Kontaktverbot, zur Verhinderung der Erkrankungsausbreitung entgegen.
Bedauerlicherweise hat die KV die Auslieferung an meine Fachgruppe nicht berücksichtigt. Insofern kann de facto keine Schwangerenvorsorge stattfinden. Schwangerschaften sind zwar nicht als akute Erkrankung anzusehen, eine Schwangerschaft und deren fachärztliche Betreuung kann aber nicht, wie zum Beispiel eine Krebsvorsorgeuntersuchung verschoben werden, da sich eine Schwangerschaft nicht auf unbestimmte Zeit unterbrechen lässt. Ohne Schutzkleidung wird allerdings in Arztpraxen primär ein unkalkulierbares Erkrankungsrisiko für das Praxispersonal, sekundär im Falle einer Infektion des Personals für alle noch gesunden Praxisbesucher erzeugt und leichtfertig in Kauf genommen. Die Frage, wer im Falle geburtshilflicher Komplikationen durch die Unmöglichkeit der Durchführung der Schwangerenvorsorge durch nicht ausgelieferte Schutzkleidung in Haftung genommen werden kann, ist ungeklärt.
Angesichts der bestehen Erkrankungszahlen in Freiburg ist eine Patientenbetreuung ohne sichere Schutzkleidung unmöglich. Am 21.03.2020 wurde die Erkrankungszahl in Freiburg laut Badischer Zeitung für den 20.03.2020 mit 158 angegeben. Angesichts der jetzigen Infektionsexplosion dürften am heutigen Tag in Freiburg wahrscheinlich ca. 200 Erkrankungen angenommen werden. Laut Medizinexperten ist die Zahl der Infizierten wahrscheinlich um den Faktor 10 höher anzunehmen.
Daraus würden sich für heute ca. potentiell 2000 Infizierte, die die Erkrankung übertragen können,
ergeben. Bei ca. 230.000 Einwohnern bedeutet dies, dass knapp 1% der Einwohner Freiburgs das Virus übertragen können und wohl auch werden. Auf Arztpraxen übertragen heißt dies, das jeder hundertste Patient das Virus überträgt. Für meinen Arbeitsalltag wäre damit zwangsläufig absehbar, dass spätestens nach 2 Tagen das Virus in meiner Praxis Realität wäre. In der Folge würden unzählige Patienten, ggfs. deren Begleitung ebenfalls infiziert werden. Die jetzt aktuelle Quarantänesituation unserer Bundeskanzlerin bestätigt dieses Szenario. Durch Ämter dann veranlasste Praxisschließungen wären die unmittelbare Folge. Eine jetzt noch mögliche Notfallversorgung in Arztpraxen würde schnell zusammenbrechen. Darüber hinaus gibt es aufgrund der Neuartigkeit der Erkrankung keinerlei Kenntnis darüber, ob aus überstandenen COVID-19-Infektionenen eventuelle Spätfolgen, wie z.B. „COPD“ resultieren können.
Ich bitte Sie daher, neuerliche Lieferungen von Schutzkleidungen auch unter diesen Gesichtspunkten zu organisieren, damit auch ich unter Beachtung der Arbeitsschutzmaßnahmen und den epidemiologisch-infektiologisc
Mit großem Erstaunen und auch Unverständnis hat mich, wie alle in Freiburg zum Notdienst verpflichteten Ärzte, eine um 16.34 Uhr vom Leiter der Notdienstes versendete e-mail. Inhalt ist ein KVBW Anschreiben für Patientengruppen und eine Anleitung für persönlicher Hygienemaßnahmen im Rettungsdienst. Ich bin erschüttert darüber, dass selbst unter „Stufe 3: Die Hygienemaßnahmen bei nachgewiesener COVID-19-Infektionen“ neben anderen Maßnahmen die erweiterte Schutzausrüstung mit FFP2-Maske empfohlen wird. In keinem Punkt wird allerdings der eigentlich zwingend notwendige Schutz durch FFP3-Masken angesprochen. FFP2- Masken sind lediglich Staubschutzmasken. Das sollte doch in der KVBW bekannt sein. Ich darf Ihnen die Besonderheiten, Schutzeigenschaften und Einsatzgebiete der FFP2- und FFP3-Masken laut EN 149:2001 zitieren:
„FFP2 Masken dürfen bei Schadstoffkonzentrationen bis zum 10-fachen des Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) eingesetzt werden. Sie schützen gegen gesundheitsschädliche Partikel auf Wasser- und Ölbasis, nicht jedoch gegen krebserregende Stoffe, radioaktive Partikel, luftgetragene biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppe 3 und Enzyme. Die Gesamtleckage (Undichtigkeit) beträgt maximal 8%, mindestens 94% der Schadstoffe werden aus der Luft gefiltert. Typische Anwendungen für eine FFP2 Maske sind beispielsweise der Umgang mit Weichholz, Glasfasern, Metall, Kunststoffen ( nicht PVC ) und Ölnebel.“
„FFP3 Masken dürfen bei Schadstoffkonzentrationen bis zum 30-fachen des Arbeitsplatzgrenzwertes (AGW) eingesetzt werden. Sie schützen gegen gesundheitsschädliche und krebserzeugende Partikel auf Wasser- und Ölbasis sowie gegen radioaktive Partikel, luftgetragene biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppe 2+3 und Enzyme. Die Gesamtleckage (Undichtigkeit) beträt maximal 2%, mindestens 99% der Schadstoffe werden aus der Luft gefiltert. Typische Anwendungen für eine FFP3 Maske sind beispielsweise der Umgang mit Schwermetallen, Hartholz, Bremsstaub, radioaktiven Stoffen, Krankheitserreger wie Viren, Bakterien und Pilzsporen sowie Edelstahlschweißen.“
Die Verwendung der geforderten FFP2 Masken ist unwirksam und sinnlos in der gewünschten Verhinderung der Virusübertragung von Mensch zu Mensch. Sowohl Unwissen als auch Vorsatz in der Empfehlung von Staubschutzmasken zur Virusabwehr sind gleichermaßen ärztlich-ethisch verwerflich wie ggfs. formaljuristisch überprüfungswürdig.
Wir Ärzte sind sowohl der medizinischen Versorgung der Bevölkerung als auch ebenso dem Schutz
unserer Mitarbeiter verpflichtet. Aus diesem Grund darf die Ärzteschaft nicht das logistische Versäumnis der Politik in der wirksamen Materialbeschaffung in Kenntnis der unabwendbaren Coronaviruskatastrophe zum Nachteil der Gesundheit oder des Lebens vieler Menschen decken.
Wir haben das Wissen und dürfen diesen Wissensvorsprung nicht zum Nachteil derjenigen, die im Vertrauen auf uns aufopferungsvoll arbeiten, missbrauchen.
Als Vergleich möge man sich vorstellen, dass die Feuerwehr in einen Großbrand mit untauglichen Atemschutzmasken geschickt würde!
Ich erwarte von Ihnen deshalb, dass Sie unverzüglich alle freiwilligen oder verpflichteten Helfer des nichtärztlichen und ärztlichen Bereiches und die Öffentlichkeit über den Missstand in der Versorgung tauglicher Schutzkleidung aufklären, damit jeder entscheiden kann, ob er ein unkalkulierbares Risiko eingehen möchte. Die fehlende Schutzkleidung gefährdet ja ebenso die bis dahin noch gesunde Bevölkerung.
Faktisch hat Deutschland trotz des zweifelsfrei sehr guten Gesundheitssystems (wahrscheinlich beklagt Deutschland deshalb vergleichsweise sehr niedrige Todesfallraten) in Europa die dritthöchsten Erkrankungsfälle, weltweit steht Deutschland an Platz 5. In Anerkennung unseres vorbildlichen Gesundheitssystems können diese Zahlen nur aufgrund logistischer Fehler und Versäumnisse erklärbar sein.
Diese Schreiben geht Ihnen zunächst per e-mail, zusätzlich per Post zu.
Ich behalte mir ausdrücklich vor, dieses Schreiben auch an andere Institutionen zu senden.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen und dem Wunsch, dass Sie gesund bleiben.
Dr. med. Wolfgang Ott
Copyright Dr. med. Wolfgang Ott